Immer mit meinen Händen auf der Platte

Interview mit der Turntablistin Mariam Rezaei

25. Oktober 2024 | Celeste Dittberner

Die Turntablistin Mariam Rezaei bei einem Konzert
©Stefano Bonusi

Trotz einer intensiven zweiwöchigen Tournee nahm sich die Turntablistin Mariam Rezaei anlässlich ihres Auftritts beim eavesdrop festival am 6. November im silent green Kulturquartier die Zeit, mit field notes über ihre Arbeit zu sprechen. Im Gepäck hat sie ihr neues Album »Fractured«. Aufgenommen wurde das live, in einem einzigen Take. Herausgekommen ist dabei ein Konglomerat aus Punk, Breakcore und Hip-Hop, das ihren emotionalen Zustand angesichts der chaotische Welt außerhalb ihres Studios widerspiegelt. Im Interview gibt Rezaei, die einen Doktor in Turntable-Komposition innehat, Einblick in ihre musikalische Laufbahn – von der allerersten Begegnung mit Plattentellern bis 
heute.

Noise Scratching ist nicht unbedingt weit verbreitet. Was hat dich dazu bewogen, diesen Weg als Turntablistin einzuschlagen?

Ich war schon immer von Musik besessen. Ich habe als Kind gesungen und viele Stunden damit verbracht, Klavier zu lernen. Als Teenager wollte ich dann lernen, wie man auflegt. Ich sah DJ David bei den DMC-Meisterschaften scratchen und beschloss, es auszuprobieren. Kurze Zeit später beschloss ich, meine eigene Musik zu schreiben, anstatt Musik von anderen Leuten zu spielen.

Welche Künstler*innen oder Bewegungen haben dich in deiner Karriere besonders beeinflusst?

Das ist eine sehr lange Liste. Ich würde sagen, dass ich mich bei der Verwendung des der Turntables größtenteils nicht von Tabulisten inspirieren lasse. Ich höre lieber Sounds und Texturen und möchte herausfinden, wie ich mit zwei Plattenspielern eine ähnliche Wirkung erzielen kann.

Du bist sowohl Komponistin als auch Turntablistin. Wie fließen diese beiden Disziplinen in deine Arbeit ein?

Ich denke, dass es für Komponist*innen von großem Vorteil ist, auch Interpret*in zu sein. Die Art und Weise, wie ich Musik schreibe, ist sehr praktisch und immer mit meinen Händen auf der Platte. Mit einem Stift und Papier oder vor einem Computerbildschirm zu sitzen, ist für mich nicht sehr nützlich. Turntablism bedeutet nicht unbedingt, dass jemand neue oder interessante Musik macht. Es gibt viele Produzent*innen, die den Turntablism als Werkzeug oder als ein weiteres Instrument in ihrem Instrumentarium benutzen. Für mich ist der Plattenteller jedoch der Musikmacher meiner gesamten Musik, und ich verbringe viel Zeit mit Üben und dem Ausprobieren neuer Ideen. Hinter jedem »erfolgreichen Stück« stehen zig weitere Ideen, die noch nicht ausgereift sind.

Deine Musik wurde mal als »High-Speed-Sound-Surrealismus« beschrieben. Was inspiriert dich zu dieser Klangästhetik? Wie findest du die Balance zwischen Struktur und Improvisation?

Ich bin immer auf der Suche nach einem neuen Sound. Die »Hochgeschwindigkeit« oder die »surrealistischen« Elemente meines virtuosen Spiels sind ein Nebenprodukt meiner musikalischen Ambitionen. Ich interessiere mich für die Musik, die ich mache. Die Methoden und die Körperlichkeit, die es dazu braucht, sind einfach Schritte auf dem Weg dorthin. 

Improvisation und Komposition sind fließende Ideen, die miteinander verbunden sind. Manche Leute empfinden meine Musik als Improvisation, weil sie die Art und Weise, wie ich komponiere, nicht kennen und deshalb nicht greifen können. Ich komponiere vor allem mit Strukturen, Techniken und Samples – das ist das Besondere am meiner Arbeitsweise und daran, wie ich die Turntables interagieren lasse. Ich nenne das die »Suspensionsmethode«.


Das Stück »6 Scenes for Turntables and Orchestra« wurde von dir und dem Komponisten Matthew Shlomowitz gemeinsam komponiert. Wie können wir uns diese Zusammenarbeit vorstellen?

Wir haben gemeinsam Zeit damit verbracht, die Musik mit Plattenspielern und Computern zu schreiben. Matt und ich haben Ideen ausgetauscht und spezifische Klänge für die Turntables und das Orchester erarbeitet. Es braucht viel Vertrauen, Wissen und Neugier, um solche Musik zu schreiben. Wir haben es im letzten Jahr achtmal aufgeführt und immer gab es stehende Ovationen. Das ist für ein neues Musikstück ziemlich selten.

Was reizt dich an der Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen?

Das ist ganz einfach: Mich reizt die kreative Herausforderung, die mir andere Musiker*innen stellen. Und dann kann ich gar nicht aufhören darüber nachzudenken, was ich als nächstes meistern werde. Das macht geradezu süchtig!

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