Ein Interview mit Mark Barden über seine interaktive Komposition

field notes #19

1. November 2020 | Annette Zerpner

ˈʊmˌvɛltn̩
©Konzerthaus

Zum 200jährigen Bestehen des Konzerthaus Berlin  erarbeiteten der Komponist Mark Barden und der Visual Artist Julian Bonequi zusammen eine interaktive Komposition. Dabei konnten sie auf die Ressourcen der seit 2016 bestehenden Kooperation des Konzerthaus Berlin und der Hochschule für Technik und  Wirtschaft (HTW)  Berlin für innovative Vermittlungskonzepte  für klassische Musik im digitalen Raum zurückgreifen. Ihr  Gemeinschaftswerk »ˈʊmˌvɛltn̩ « bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Neuer Musik, visueller Kunst und Virtual Reality. Augen und Ohren sind in dieser virtuellen Realität gleichberechtigt:  Nutzende bahnen sich per VR-Brille individuell mitkomponierend  einen Weg durch einen phantastischen Kosmos der Pflanzenwesen  und Klänge, in der keine Aktion ohne Reaktion bleibt. Wie anschlussfähig das Projekt an aktuelle Debatten zum  Umgang mit unserem Planeten ist und wie es mit dem Konzerthausorchester Berlin umgesetzt wurde, erzählt Komponist Mark Barden Annette Zerpner hier im Interview. 

Was erwartet Nutzer*innen, die die VR-Brille aufsetzen, um  das interaktive Kompositionsprojekt »ˈʊmˌvɛltn̩ « zu erforschen? 

Meine Klänge sind an Pflanzen und Objekte eines virtuellen »Gartens« gekoppelt, mit denen die Nutzer*innen  in Kontakt treten. Sie können diese von Zeichnungen des Zoologen  Ernst Haeckel inspirierten Wesen in 3D dann verändern.  Die Steuerung und das Zusammenspiel im Raum haben Visual  Artist Julian Bonequi und ein Entwicklerteam der Hochschule für  Technik und Wirtschaft Berlin  verwirklicht. Julian hat den Kern  des Projekts sehr schön zusammengefasst: Man erlebt die  Partitur auf haptische Weise. Wie in einem Wachtraum ist alles  möglich: Wenn Du Dich mit offenen Augen näherst, wenn Du  etwas berührst, ohne es zu zerstören, wirst Du etwas hören.    

Wenn man Deine Klänge für das Projekt hört, fragt man sich  oft, wer oder was sie erzeugt. Vieles klingt synthetisch, wurde  aber tatsächlich komplett von Mitgliedern des Konzerthausorchesters  Berlin auf ihren Instrumenten erzeugt. So bekommen  Deine Klangflächen auch etwas Verunsicherndes, Irritierendes  – genau wie der visuelle Teil des Projekts mit seinen nicht  eindeutig zu definierenden Schimären.  

Wenn man bestimmte Klänge als unangenehm empfindet, hat man  im virtuellen Garten nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die  Verantwortung, sie für sich zu verändern oder auszuschalten. Jeder  ist Komponist*in einer eigenen Welt. Dadurch stellen sich grundlegende  Fragen zur Identität eines Musikstücks, die mich als Komponist  natürlich beschäftigen: Wenn ich ermögliche, dass für eine  Person etwas sehr Ruhiges entsteht, für eine andere dagegen etwas  Chaotisches – ist es dann noch dasselbe Stück, das beide hören?  Worin besteht dessen Essenz, und wie kann man sie aus verschiedenen  »Blick«-Winkeln zeigen, ohne dass es willkürlich wird? 

Du gibst einen größeren Teil der Kontrolle über Dein Werk ans  »Publikum« ab, als es Komponist*innen normalerweise tun. 

Großartige Musik in einem Konzertsaal zu hören, ist eine tolle  Sache. Aber es bleibt eine passive Erfahrung. Wir nehmen die  gespielte Musik zwar individuell unterschiedlich wahr, haben dann  aber keine Steuerungsmöglichkeiten, sie unseren Wünschen entsprechend  zu modifizieren. Ich möchte den Nutzenden nicht nur  meine Klänge näherbringen, sondern ihnen auch etwas Macht  geben, eine Entscheidungsfreiheit. Wie weit sie das annehmen,  wird sicher sehr unterschiedlich sein.    

Es gibt also unendlich viele Wege und damit Klangstrecken  durch die Installation? 

Theoretisch ja. Wir haben so viel Material, dass man leicht eine  Installation von zwei Stunden daraus machen könnte. Natürlich  sind meine Klänge kuratiert, sie sind ausgesucht, auf eine Art  spezifisch, aber die Verhältnisse sind offen. Sie werden von den  Nutzenden bestimmt. 

Für die Klänge der Schlagwerker wurden zahlreiche Alltagsdinge  wie verschiedene Sorten Reis, Bohnen, Fruchtsaft, Latexhandschuhe  und elektrische Zahnbürsten beschafft. Für das  Solocello hast Du beispielsweise eine eingespannte CD oder  Klebemasse auf dem Griffbrett gefordert. Wie haben die  Orchestermitglieder darauf reagiert? 

Diese Situation ist immer spannend: Wird ein Orchester mich  als Komponisten ernst nehmen und meinen Weg mitgehen?  Die Mitglieder des Konzerthausorchesters sind auf meine Ideen  sehr engagiert eingegangen. Und es hat ihnen offensichtlich  auch Spaß gemacht, einmal im positiven Sinne kindlich und ausprobierend  an Klänge heranzugehen. (konzerthaus.de)

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