Gleichberechtigung in der zeitgenössischen Musik – ausland

field notes #2

1. Mai 2017 | ausland-Kollektiv

Isabelle-Duthoit auf der Bühne im biegungen im ausland
©Mathias-Maschat

Im Kulturbetrieb und damit auch in der zeitgenössischen Musik werden Frauen und Männer nicht gleichermaßen repräsentiert. Jedoch sind derzeit an vielen, auch prominenten Orten erfreuliche Tendenzen zu beobachten, die diesen Missstand analysieren, diskutieren und produktiv zu wenden versuchen.

Eine lange Geschichte männlicher Dominanz hat dazu geführt, dass in vielen Bereichen aktueller Musik ein eklatantes Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern herrscht, wenn es um den Zugang zu Produktionsmitteln, um Präsenz auf den Bühnen und eine nachhaltige öffentliche Wahrnehmung geht. Da Gleichberechtigung noch immer keine Normalität ist, besteht zweifelsohne immenser Handlungsbedarf. Strukturelle Ausgrenzungsmechanismen sind zu beseitigen und die auch im Grundgesetz festgeschriebene Übereinkunft zur Gleichstellung möglichst schnell in die Realität umzusetzen. Kulturpolitisch verantwortungsvoll zu handeln und öffentliche Mittel gerecht einzusetzen impliziert dementsprechend Maßnahmen, die Chancengleichheit herstellen und der Unterrepräsentation von Künstlerinnen mit konkreten Förderprogrammen und Schwerpunktsetzungen begegnen.

Wir halten es für einen Mythos, dass ausschließlich das Argument der Kunstfreiheit oder einer vermeintlichen Qualität, »die sich stets von selbst durchsetzt«, kuratorische Entscheidungen leitet. Es sind immer auch Aspekte der Diversität, die eine Programmauswahl mitbestimmen. Einer dieser Aspekte ist die im Idealfall selbstverständliche Ausgewogenheit im Geschlechterverhältnis, was nichts mit einer forcierten Quotenregelung zu tun hat. Die Autonomie der Kunst wird damit nicht torpediert, sondern es werden vielmehr Räume eröffnet, die mit dem vorgeschobenen Argument der Einschränkung angeblicher Entscheidungsfreiheit verschlossen blieben.

Natürlich kann die bewusste Hinwendung zu gendersensibler Kulturpolitik zeitweise in dem Paradox münden, die intendierte Selbstverständlichkeit von Geschlechtergerechtigkeit allzu sehr zu exponieren und damit den Fokus von der Kunst, um die es zweifelsohne primär geht, über Gebühr in eine politische Dimension zu überführen. Ein Dilemma, dem man sich allerdings aufgrund der langfristig angestrebten Wirkung aussetzen muss. Die Frage, wie dem Thema zu begegnen ist, stellt sich in jedem Fall – entweder im Insistieren auf gleichberechtigte Verteilung der Mittel und Aufträge für Kunst und Kunstproduktion oder eben im affirmativen Reproduzieren des Status Quo. Viele im Bereich der zeitgenössischen Musik scheinen sich ein ausgewogen(er)es Geschlechterverhältnis zumindest zu wünschen, nur ist der Weg dorthin wohl nicht immer klar. Nach unseren Erfahrungen zieht ein angepasstes Geschlechterverhältnis auf der Bühne zugleich begrüßenswerte Veränderungen in der Zusammensetzung des Publikums nach sich. Auch wenn in der aktuellen, uns nahe stehenden Improvisations-Szene der Trend schon als durchaus positiv angesehen werden kann, steht für uns fest – ganz im Bewusstsein der politischen Geschichte freier Improvisation, ihrer freiheitlich orientierten Grundausrichtung und ihrer stark auf egalitärer Kollektivität basierenden Überzeugungen –, dass das kulturelle Gesamtbild in seiner derzeitigen Erscheinung nicht zu akzeptieren ist.

– ausland-Kollektiv

Das ausland ist ein unabhängiger Spielort für Musik, Film, Literatur, Performance und Kunst. Für seine Programmgestaltung ist die überdurchschnittlich hohe Einladung von Künstlerinnen dauerhaft bestimmend.

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