Als mich das Angebot der zeitgenössischen Musik meiner Heimatstadt in Kalifornien zu frustrieren begann, zog ich mich mehr und mehr in die stetig wachsende YouTube-Bibliothek zurück. Dort verbrachte ich Tage und Nächte mit dem Entdecken neuer neue Werke. Es brauchte nicht lange, um herauszufinden, dass ein überproportionaler Anteil der Musik, die mir am interessantesten schien, entweder in Berlin komponiert oder aufgeführt wurde. Schon bald war der nächste Schritt klar: nach Berlin ziehen und in die zeitgenössische Musikszene der Stadt eintauchen.
Seit dem Umzug habe ich unzählige Konzerte und Festivals mit verschiedenen Ausrichtungen besucht. Den vielleicht besten Überblick über die Pluralität der in Berlin beheimateten musikalischen Perspektiven bot mir dabei der Monat der zeitgenössischen Musik. Die Gesamtheit der Veranstaltungen zeigte ein Spektrum fast aller musikalischer Parameter, von Instrumentierung (Solo- Kammermusik, Orchester, Akustik, Elektroakustik) zu medienbasierten Arbeiten (Musiktheater mit Video- und Klangkunst) und verschiedenen Kompositionsverfahren (von improvisiert zu komponiert).
Zu meinen persönlichen Höhepunkten zählten das Eröffnungskonzert mit einem Doppelportraitkonzert von Johan Svensson und Michael Beil durch das ensemble mosaik unter der Leitung von Enno Poppe, die großen Ensemblewerke von Rebecca Saunders und Mark Andre sowie Andrea Neumanns »Music With Roots In The Aether—Catherine Lamb« bei der Konzertreihe Labor Sonor.
Trotz der unterschiedlichen ästhetischen Dispositionen dieser Werke, teilen sie die Auseinandersetzung mit der Wechselwirkung von Raum und Klang. In Saunders »Yes« sind die Musiker im Raum verteilt und wandern im Kammermusiksaal umher. Beils »Exit to enter« spielt durch Live-Videoaufnahmen mit den Erwartungen des Publikums sowie den Bewegungen und Positionen der Performer im Raum, die mit dem Klang in Beziehung stehen. In »Über« verwandeln Mark Andre und Jörg Widmann Material aus spektralen Analysen von Wind, indem Klänge zurück in die Instrumente auf der Bühne gelenkt und durch die Raumwände verstärkt werden. In Neumanns Stück wurde die KuLe zum Schauplatz für die namengebende Konversation zwischen Ashley und Lucier, die Klänge entwickeln und kommentieren. Die Stärke des Werkes liegt in der Einbeziehung des Publikums, indem es das klangliche Thema durch Töne ersetzt, die sich im Performance-Raum entwickeln.
Vielleicht liegt der Erfolg des Monats der zeitgenössischen Musik in einer ähnlichen Herangehensweise: den Raum Berlins (anstatt eine bestimmte Ästhetik) als Ausgangspunkt zu begreifen. Auf diese Weise stellte das Programm ein umfassendes Bild der zeitgenössischen Musikkultur der Stadt dar, das sowohl ihre beeindruckende Breite als auch Tiefe repräsentierte.